21.02.2022 Johan van Walkering, der bekannte Walking Football-Philosoph und -Kundige hat das erste Regelwerk herausgegeben. Damit es auch jeder versteht in einem Comic-Format auf Deutsch mit niederländischen Redewendungen und einigen bösen deutschen Worten. Wie genau verhält es sich mit dem Roten Teppich, Foulspiel und hohen Bällen? Hilft eine gesunde Ernährung beim Kurzpassspiel? Kann Einigkeit „erzwungen“ werden oder bleibt es beim ewigen blauweißen und schwarzgelben Gepöbel? Van Walkering gibt die Antworten. Demnächst exklusiv bei biersteins-kunstschuss. Bleiben Sie dieser Seite treu, Sie werden es nicht bereuen!

9043

 

Eine „Dönninghaus“ in Gerthe - Die etwas andere Betrachtung der Reviermeisterschaft von Wolfgang Memleb


Die Reviermeisterschaft am 19.10.2021 steht unter dem Stern der Initiative „Für Derbystimmung –gegen Gewalt“, die im Jahr 2008 gemeinsam von Borussia Dortmund, dem VfL Bochum und dem FC Schalke 04 gegründet wurde. Es ist Herbst. Aber mal so richtig. Das Wetter im Pott ist den angereisten älteren Herren aus Bochum, Dortmund und Schalke heute nicht besonders gut gesonnen. Dichte Wolken, als solche aber kaum voneinander zu trennen, drücken mit ihrem eintönigen Grau aufs Revier und aufs Gemüt. Es ist schon Vier durch, der Tag neigt sich bereits und es nieselt, ganz fein und alles durchdringend, bei Temperaturen, die Gicht und Rheuma wirklich abträglich sind. Da will so recht keine Vorfreude aufkommen — weder bei den Akteuren noch bei den handverlesenen Enthusiasten,alle aus dem Land, das lange brauchte, ehe es auf Brachen, Halden und in museumsreifen Überbleibseln aus der Asche der Vergangenheit wiedergeboren wurde. Zeitgleich wird die Reviermeisterschaft der präpubertären Jungs (neudeutsch: Kids) ausgetragen und so nimmt es nicht Wunder, dass reichlich Eltern als Fans ihrer kickenden Augäpfel herumlaufen. Eigentümlich anzuschauen: gelassene und entspannte Mütter und Väter einerseits und Möchtegern-Fast-Profis andererseits, die sich bereits jetzt kaum im Gehabe von den Groß-Geredeten ihrer Zunft unterscheiden, obwohl gerade erst dem Laufstall entwachsen ... Die beiden kickenden Generationen teilen sich den Kunstrasenplatz quer, die einen rennen sich die Lunge aus dem Leib, die anderen mühen sich, ihren Leib zu bewegen – aber immer schön mit einem Bein am Boden. Ich stehe ein wenig erhöht, also vielleicht einen guten Meter, auf dem, was der wohlgesonnene Gerther als Tribüne bezeichnen würde. Links stützen sich zwei Schalker Altinternationale, Trainer der eine, Spieler und Trainer der andere, auf einen Wellenbrecher, der hier diesen Namen gar nicht verdient und
fachsimpeln: „Die Bochumer haben da rechts in der Verteidigung einen, das könnte mal ein Guter werden.“ „Genau.“, sagt Klaus Fischer, der eine halbe Stunde lang den Eingang zur Anlage nicht gefunden hat. Und dieses eine Wort verrät immer noch seine Herkunft
aus dem bayerischen Wald, trotz fast fünfzig Jahren auf Kohle. Aha, denke ich, die interessiert auch nur das Spiel des Nachwuchses. Aber: Falsche Gedankenverbindung, nicht nur Kinder haben eine Zukunft. Als Martin Max seinen Arm hebt und noch einmal auf eben jenen Begabten zeigt und dabei „Siehste?“ sagt, stellt sich heraus, dass er einen aus dem Walking Sixpack des VfL meint. Was soll aus ihm noch werden, außer, dass er älter wird? Ein von Ehrgeiz zerfressener, stets unzufriedener, schimpfender Egomane? Einer dem die Freude an Bewegung bei weitem nicht mehr genug ist? Einer der draufhaut oder den Schiedsrichter angeht, wenn sich ihm, dem Unantastbaren, einer in den Weg stellt und ihm seine Grenzen aufzeigt, die er längst verdrängt hatte? Und so bekommt das Aufwärmen der Gelenksteifen vor dem Spiel plötzlich eine neue Bedeutung: Stretching betreiben die Alten nicht für ihren Körper, sondern um den Gegner einzuschüchtern: Seht her, wie fit ich noch bin. Und damit die anderen das Knacken und Knirschen der Gelenke, das Stöhnen und Ächzen der Arthritischen auch bloß nicht hören, ziehen sie sich aus der Hörweite der anderen zurück. „Früher sind die einfach so über das Geländer gesprungen und waren auf‘m Platz.“, sagt Frank, der sich zu mir gesellt hat, als er sieht, wie einige Spieler den langen Marsch in die Verwirklichung angetreten haben, „Heute gehen sie brav hinten herum, die vier Stufen runter und vorsichtig über die Aschebahn.“ „Na ja, ist aber auch kalt heute, woll’n wir doch nicht so streng sein. Ist eben Hallenwetter!“ „Ja, sehe ich auch so, aber beheizt und gut beleuchtet.“ „Aber warum gehen die nicht hier vorne die Stufen runter, das sind doch keine zehn Schritte bis auf den Platz?“ „Das haben sie offensichtlich ganz genau abgewogen: Solange wir unsere Aufwärm-Choreographie nicht aufgeführt haben – bloß nicht auffallen. Da machen sie lieber ein paar Schritte mehr.“ „Vor dem Anpfiff können sie ja so viele Schritte machen, wie sie wollen, aber auf’m Platz sollten sie jeden überflüssigen Schritt vermeiden und den Ball laufen lassen. Dann wäre es endlich so, wie sich die Erfinder dieses Spiels das gedacht haben ... Wann die hier wohl die Lampen anstecken? Ist schon verdammt dunkel.“ „Gar nicht, wahrscheinlich.“, mault Frank, der nur einen Steinwurf von hier entfernt wohnt, „Der Ausrichter hat doch kein Geld.“ „Der VfL?“ „Irgendeiner hätte die beim VfL aufrütteln, ihnen die blauen Sechs schmackhaft machen müssen. Aber es gibt keinen oder keine, die sich das trauen würden. Was wäre das schön gewesen, wenn die Reviermeisterschaft auf den Trainingsplätzen an der Castroper stattgefunden hätte. Aber ich bin mir sicher, der Villis und die anderen vom Vorstand wissen noch nicht mal, dass heute hier gespielt wird und eine sogenannte offizielle Vertretung des VfL dabei ist. Die Enthusiasten von der Gehfraktion betreiben ihren Sport aus eigener Tasche! Die kaufen sogar die Wimpel im Fanshop, um sie vor dem Spiel zu tauschen!“ „Nein!“, sage ich, „Das glaube ich einfach nicht. Die müssen doch nach Statut der DFL eine Breitensportabteilung haben und die Gehkicker gehören dazu.“ „Haben sie auch, aber was da im Einzelnen passiert ist nicht so genau festgelegt. Schalke läuft hier mit dem Direktor Breitensport auf, Dortmund hat einen wichtigen Mann hier und die haben in ihren Vereinen auch was zu melden, die werden gehört ... und wer ist vom VfL da? Wenigstens ist einer vom Sportamt hier ...“ Frank schaut mich von der Seite an: „Ich gehe jetzt, ich finde dieses Spiel viel zu gefährlich ... Herzkasper, überbeanspruchte Gelenke, falscher Ehrgeiz ... Nee, das ist nicht meins. Die machen sich kaputt. Kaputter als sie schon sind. Da muss ich nicht bei sein.“ Spricht’s, verschwindet und lässt mich mit offenem Mund stehen. Ratlos. Auf diesen krachenden Einsturz meines Bildes vom Freude spendenden Altherrensport und von meinem VfL brauche ich eine Wurst. Am besten eine von Dönninghaus, dem Hoflieferanten des VfL, obwohl mir im Augenblick alles, was irgendwie mit diesem Verein zu tun hat, quer runter geht. Aber die Fleischerei kann ja nichts dafür. Deren Wurst ist sensationell. Und tatsächlich gibt es die Leckerei am Grillstand: Den ersten Biss nehmen, Augen zu, Vorstellungskraft auf Hochtouren laufen lassen und das Hier und Jetzt vergessen. Tatsächlich stellt sich für einen Moment das lange vermisste Gefühl von Gegentribüne und etwas zu stark parfümierten Frisörinnen (Mutter und Tochter) ein, die jahrelang neben mir saßen, die im Winter immer ihre Wolldecke mit mir teilten und die mir beigebracht haben, dass es Spieler – vor allem beim VfL – gibt, denen man vor dem Anpfiff die Beine falsch herum eingehängt hat. Leider wäscht der Gerther Oktoberniesel alles wieder weg. Und so genieße ich meine Dönninghaus und schaue mit unverhohlenem Missmut auf die lustlos zwischen gegnerischen Beinen herumstochernden Sixpacks. Ein paar Tore fallen wohl auch. Die Rückrunde tue ich mir nicht mehr an. Eine Woche später erfahre ich aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen, dass es auch einen Sieger gab und zwei, die immerhin tüchtig an Erfahrung gewonnen haben: Schalke hat das Turnier gewonnen und durfte den Pokal (Neusilber-Blech auf schwarzem Marmor) mitnehmen. Die Sechs, die nur mit einer Sondererlaubnis das Wappen des VfL tragen, wurden zweiter und die Geher vom Borsigplatz belegten einen hervorragenden dritten Rang.

 

Der rote Teppich beim Fußball  

von Wolfgang Memleb

 

Bisher den Mächtigen und Schönen dieser Welt vorbehalten, um sie nach antiker Legende den Göttern, gleichzustellen, sie zu Unerreichbaren zu machen, hat dieses purpurfarbene Knüpfwerk nun Einzug bei den Balltretern gehalten.  Nicht bei allen, nur bei denen, die im Gehen den Ball stoßweise bewegen.

Wieder einmal gehen die wendigen und unternehmungslustigen Alten einen entscheidenden Schritt voraus, sind die ersten, die diesen „roten Teppich“ als Trennmarke zwischen erlaubt und verboten eingeführt haben. Nur der Ball, dieser unberechenbare Divus, wird eingeladen, mit eleganter Drehung die blutgrätschenrote, kostbare Auslegeware zu überrollen und im Netz Platz zu nehmen, umschmeichelt vom Blitzlichtgewitter der Weltpresse. Dabei ist es gleichgültig, ob er als Geschoss, als Roller oder als krummes Ding vorbeikommt: Hauptsache, er erscheint mit geschwellter Luftblase.

Das Betreten durch das um Verteidigung bemühte Fußvolk zum Zwecke der Abwehr ist verboten. Das soll nach immer torärmeren Begegnungen der Belebung des Spiels und einer Flutung der Tore dienen, weil der verkappte Torwart damit abgeschafft wird.  Ein Verstoß zieht eine Strafe nach sich, die nach Meinung vieler Unwissender einem geschenkten Tor gleichkommt: Ein Stand-Kick von der Mittellinie, allerdings ohne dass jene Abwehrrecken, welche die Strafe durch Unachtsamkeit oder Hinterlist herbeigeführt haben, das Metall-gerahmte Netz schützen dürfen. „Das ist doch Kinderkram!“, rufen die Ahnungslosen und verkennen den ungeheuren psychischen Druck, der auf dem Scharfrichter liegt.

Bei doppelter Entfernung und einem Sechstel der Zielgröße wie bei den Rennfußballern soll er die Lederkugel ins Tor befördern … Da ist nichts geschenkt, da werden präzise Technik und höchste Konzentration verlangt. Häme und Spott werden fälschlich über dem Versager ausgeschüttet.

Doch hätte man dieses für Füße verbotene Feld nicht besser mit einer dicken – auch gerne roten – Matte auskoffern und mit Schmierseife glitschig machen sollen? Jede Zuwiderhandlung wäre Unterhaltung vom Feinsten, Slapstick von älteren bis alten Menschen und: Die Sünder fielen weich. Niemand müsste die Verfehlungen überwachen, alles würde von ganz allein öffentlich – und vor lauter Lachen könnte ohnehin nicht weitergespielt werden. Der Ausrutscher zählte automatisch als Tor und damit wäre auch der beliebten Doppelbestrafung Genüge getan.

„Nein“, rufen die Verantwortlichen, „Nein und nochmals nein! Bei uns geht es ernsthaft und professionell kontrolliert zu. Wir wollen außerdem jede psychische und körperliche Verletzung unserer empfindlichen Gehkicker vermeiden. Komik hat auf dem Platz nichts verloren. Basta!“

 

Ach ja? An dieser Stelle kommt der anteilnehmende und durchaus wohlmeinende Chronist ins Grübeln: Die Protagonisten gehen inzwischen so vehement zur Sache, dass so mancher rundliche oder asketische Balltreter durch Gegners Übermut oder -eifer auf dem Rücken liegt, käfergleich und die Beine in die Luft der eine, kreuzigungsfertig, alle Viere von sich gestreckt der andere. Da nützt auch die ach so kameradschaftlich vorgetäuschte Aufstehhilfe nichts: Schmerzen, blaue Flecke, geborstene Brillengläser oder gar Schlimmeres können nicht mit einer oberflächlichen Geste rückgängig gemacht werden. Wut, Unverständnis und verletzter Stolz brennen sich tief ein:  Rachegedanken schwelen unter der sportlich-fairen aber ab dem Zwischenfall nur noch zur Schau getragenen Maske der Fairness. Und das Gedächtnis für derlei Unsportlichkeiten arbeitet bei den Alt-Agilen noch einwandfrei. Da wird so schnell nichts vergessen.

 

Es soll bei dieser körperlosen Gentleman-Variante des grundsätzlich ja kampfbetonten Spiels sogar schon zu handfesten Auseinandersetzungen gekommen sein. Beschwichtigen während und Abwiegeln nach dem Spiel: „Ach, das war doch nicht böse gemeint.“ oder das angebotene Freibier nach Spielschluss helfen in diesen Fällen wenig. Hier gehören ein paar alte Ohren langgezogen, eine längere Denkpause und Anti-Aggressions-Training angeordnet, drei Punkte in Nyon eingetragen oder, wenn gar nichts mehr hilft: Hundert Mal schreiben: „Ich bin ein vornehmer, fairer und achtsamer Mensch und weiß mich zu benehmen.“

 

All diese Maßnahmen werden aber nicht ergriffen und jetzt erkennen wir eine bisher geheim gehaltene Aufgabe des kleinen, textilen Stücks: Es markiert nicht nur eine verbotene Zone sondern dient auch – kurz mal angehoben – dazu, alle Unzulänglichkeiten der Elder-Soccer-Men darunter zu verwahren. Die Farbe Rot signalisiert: Nicht anheben, alles unter der Decke lassen und – besonders wichtig – nicht für den Außenstehenden geeignet. Schaut man bei größeren Turnieren ein wenig genauer hin, fällt auf, dass manche Ecken schon deutlich sichtbare Spuren von häufigem Anheben zeigen, unerklärliche aber höchst auffällige Verwerfungen wölben die Oberfläche und machen ein Betreten gefährlich.

 

Erstaunlicherweise verschwinden Eselsohren, Beulen und Falten beim Aufrollen und Lagern, und bei der nächsten Verwendung liegt der rote Teppich wieder unschuldig und glatt, bereit, Grenzen zu setzen und zuzudecken …

 

Walking Football League 2019/20

1. Finalturnier am 10. Oktober 2019

in der Glückauf-Kampfbahn auf Schalke

von Wolfgang Memleb

 

Seit über fünfzig Jahren war ich nicht mehr hier. Früher, als Halbwüchsiger, bin ich mit dem Fahrrad oder mit Zug und Straßenbahn gekommen. Jetzt, als alter Mann, nähere ich mich, von Norden kommend, mit dem Auto, biege direkt nach der Autobahnbrücke der A42 über die Kurt-Schumacher-Straße nach rechts ein und links, ein paar Meter tiefer, liegt sie: die Glückauf Kampfbahn, magischer Anziehungsort fußballverrückter Malocher seit 1928.

Ein wenig traurig sieht sie aus, so ganz ohne die steinernen Stehtribünen, die zum größten Teil einer Grasböschung weichen mussten. Nur die überdachte und denkmalgeschützte Haupttribüne steht noch.

Ein paar hundert Meter weiter parke ich, laufe an einem etwas ungepflegten Rasenplatz vorbei zurück und betrete durch eines der (ehemaligen) Kassenhäuschen auf der Nordseite das Gelände.

In diesem altehrwürdigen Stadion, auf dessen Rasen sich wirklich große Legenden erschaffen haben, findet heute auf einem äußerst profanen Kunstrasen, den man hier inzwischen verlegt hat, ein europäisches Fußball-Turnier von sehr alten Männern und etwas jüngeren Frauen statt, die nicht mehr dem Ball hinterher rennen sondern mehr oder weniger gemächlich gehen (sollen).

Schalke 04 hat als gastgebender Veranstalter Mannschaften aus Belgien, den Nieder­landen und Deutschland zum ersten der beiden Finalturniere der Walking Football League geladen. Ein Treffen von Gehfußballern in dieser Größenordnung soll das bisher erste seiner Art sein, wie man mir im Vorfeld stolz erzählt hat. Was wohl die DJK Teutonia Schalke-Nord dazu sagt, die sonst das Stadion nutzen darf.

 

Ich bin etwas spät dran und der Spielbetrieb ist bereits in vollem Gange. Drei Plätze, die sie heute ganz international pitch one, two, three nennen, sind mit Hütchen abgeteilt und auf jedem gehen zwölf Menschen allerlei Geschlechts ihrem Sport nach, beaufsichtig und zurecht gewiesen von einem stehenden, jungen Mann in Schwarz mit Trillerpfeife. Jedem Spielfeld ist ein Tischchen unter einem blau-weißen Sonnenschirm zugeteilt, auf dem eine Klapptafel steht, mit der man den Spielstand anzeigen kann. Eine nette Idee für die wenigen Zuschauer, die – wie ich – aus dunklen und geheimen Quellen von einer Europameisterschaft auf geheiligtem Boden erfahren haben und die nicht als Betreuer oder Pfleger ihre Arbeit verrichten. In einer blauen Luxus-Kommandobox – vom Hauptsponsor der Schalker zur Verfügung gestellt – gibt sich die Organisation alle Mühe, den Überblick zu behalten und ihn für alle Interessierten transparent zu machen. Das Vorhaben gelingt unter Einsatz modernster Gerätschaften ganz ausgezeichnet.

Mein Hiersein ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass ich gebeten wurde, Bilder für die Nachwelt festzuhalten. Und so ist mir auch heute wieder einmal versagt, einfach nur zuzuschauen und zu genießen. Wie immer braucht es seine Zeit, bis ich mich im großen Durcheinander der handelnden Personen und der am Rande stehend Mitfiebernden, von mehr oder wichtigen Beobachtern und lächelnden Genießern zurecht gefunden habe.

Auf einem der Plätze findet gerade ein Vergleich von blauem russischen Gas und grünster holländischer Elektrizität in Rot statt: Schalke gegen Twente Enschede. Ein Blauer ist über einen Roten gestolpert oder hat sich einfach nur erschrocken, dass der andere urplötzlich neben ihm auftauchte. Jedenfalls kniet der Deutsche vor dem Holländer und lässt sich Händchen haltend von ihm aufhelfen. Beide lachen, nehmen die Sache überhaupt nicht ernst. In diesem Augenblick stürzt der Schiedsrichter mit verkniffenem Gesicht auf die beiden zu und setzt zu einer belehrenden, Regel erklärenden Standpauke an, dass Grätschen und Rempeln verboten sei und dass man sich doch gegenseitig respektieren solle und so weiter und so weiter. Den beiden Spielern vergeht ihr Lachen und etwas verwirrt schauen sie sich fragend an, weil sie das ganze Theater überhaupt nicht verstehen können. Was will der junge Mann? Warum schimpft er? Sie schütteln beide mit dem Kopf, klopfen sich gegenseitig auf die Schulter und lassen den Mann in Schwarz einfach stehen. Jetzt ist er beleidigt, doch das Spiel geht weiter.

Die Umstehenden können sich ein Lachen nicht verkneifen und haben ihren Spaß, denn am Boden liegende Spieler sind sehr selten, weil es schließlich verboten ist, den Gegner zu Fall zu bringen. An diese Vorschrift halten sich die Spieler (fast immer), nur mit dem Gehen und Laufen haben sie ihre Probleme. Das sollte sich aber in den nächsten Jahren einpendeln. Zur Not muss ein Gehtrainer engagiert werden oder ein Videobeobachter in einem Keller in Resse macht ihnen Beine und holt sie auf den Boden zurück. Es soll sogar schon Versuche gegeben haben, mit einer leitfähigen Spielfeldoberfläche und codiertem Schuhwerk ständig zu überprüfen, ob mindestens ein Schuh eines jeden Spielers auf dem Boden ist. Aber das ist eine völlig überteuerte und unpraktische Zukunftsidee und deshalb wird sie wohl vom DFB demnächst ohne weitere Prüfung verpflichtend gemacht werden.

Ein paar Borussen-Männer aus Dortmund stehen mit verschränkten Armen ein wenig hilflos und verloren herum und betrachten die gerade laufenden Spiele der nächsten Gegner mit einer Mischung aus Argwohn und Bewunderung.

 „Gegen die sollen wir gewinnen?“, sagt einer und schüttelt mit dem Kopf, „Nie im Leben!“ 

„Mann, du bist vielleicht ein Miesmacher! Lass uns doch erst mal spielen, die Wahrheit liegt auf’m Platz, auch bei uns Alten. Wolfsburg hat Twente geschlagen, womit kein Mensch gerechnet hat, und wir haben schließlich gegen Eindhoven und Nimwegen gewonnen.“ 

Aber die Befürchtungen des ersten werden sich schon bald bewahrheiten, einmal sehr deutlich und einmal knapp.

 

Zwischen all den Männern laufen erstaunlich viele Frauen herum. Nicht so sehr als Spielerinnen sondern mehr als Mannschaftsbegleiterinnen und Betreuerinnen. Es scheint, als hätten nur drei Spielerinnen in zwei Mannschaften den Weg nach Schalke gefunden: Zwei bei Frankfurt und eine bei einer holländischen Mannschaft. Diese Holländerin soll, so wird überall voller Bewunderung erzählt, einen enorm harten Schuss haben. Woher bloß? Diese Frage aber bleibt unbeantwortet. Die beiden aus Frankfurt spielen einen gepflegten Ball, gehen wirklich, spielen mannschaftsdienlich und machen eine gute Figur – also rein fußballerisch betrachtet. Das kommt der Idee, die hinter dem Gehfußball steckt, doch sehr nahe: Bewegung im Alter und Spaß dabei. Oder wie es ein Spieler aus Enschede auf den Punkt bringt: „Freude beim Spiel ist zwar ganz schön, aber die dritte Halbzeit ist die wichtigste.“ 

Neben den Spielern von Werder Bremen, die während der ganzen Zeit einen Mordsspaß haben, gehören auch die Männer und Frauen von Eintracht Frankfurt zu den immer gut Aufgelegten, trotz aller Anstrengung und Anspannung – und ganz ohne Alkohol. Das steckt an und lässt Zuschauen zum Vergnügen werden. 

Nicht, dass die anderen Teilnehmer während des Turnierverlaufs Alkohol tränken, um ihren Frust über vermeintlich schwache Leistungen zu ertränken oder sich vor lauter Ehrgeiz gegenseitig ihre Fehler an den Kopf würfen, wie ich es bei den Westfälischen Meisterschaften erlebt habe, aber ein paar Züge aus der E-Ziga­ret­te müssen dann in den Spielpausen doch wohl sein, heimlich zwar und in der hohlen Hand versteckt und immer bei angeregten Diskussionen zu dritt oder viert, dicht beieinander, damit es bloß niemand mitbekommt. Gut, dass der stramme Wind die Schwaden schnell verteilt. 

 

Um viertel nach eins ist Mittagspause, die Vorrundenspiele sind abgeschlossen und in jeder Gruppe gibt es einen ersten: In der Gruppe mit den schwarz-gelben Bedenkenträgern hat Leverkusen die Nase vorn, dicht gefolgt von den Mannen aus Nürnberg, die bis hierhin die meisten Tore geschossen haben. Die Borussen belegen einen annehmbaren dritten Platz. In der anderen Gruppe hat Schalke keinen Punkt abgegeben und Twente Enschede als zweiten hinter sich gelassen. Leider sind hier die Immer-Vergnügten aus Frankfurt mit den meisten Gegentoren nur Letzte geworden, die lustigen Bremer landen hinter Club Brügge im Mittelfeld.

 

Die Veranstalter haben wirklich an alles gedacht und so steht, wie in Köln der Geißbock oder in Frankfurt der Adler, ein nachgebauter Hunt als Symbol der Verbundenheit und der Wurzeln des FC Schalke 04 am Spielfeldrand. Praktischerweise hat dieses Gefährt dicke Gummiräder und so kann die Lore hin und her gefahren werden, um als Requisit für Erinnerungsfotos vor allem der ausländischen Mannschaften zu dienen. Anfangs stellen sie sich vor dem Förderwagen auf. Aber irgend jemand sagt ihnen, dass man den Wagen so gar nicht sehen kann. Und wie kleine Kinder, denen man Hilfestellung gegeben hat, trotten sie – einer hinter dem anderen – los und platzieren sich nun dahinter. Glück Auf!

 

Im Schatten der Haupttribüne, außerhalb des Stadions, stehen die blauen Verpflegungszelte. Es hat sich eine lange Schlange von hungrigen Spielern und Betreuern gebildet. Alle stehen geduldig und warten, bis sie an der Reihe sind. Dabei wird viel geredet und gelacht – Völkerverständig zwischen Nord und Süd und zwischen West und noch weiter im Westen.

Es gibt Gulasch mit Nudeln: Eine große Kelle mit Fusilli auf den Porzellanteller, eine große Kelle mit Soße und Fleisch darüber und der nächste bitte. Die beiden Frauen hinter dem Tresen mit der Bain-Marie leisten Schwerstarbeit – nicht wegen der „Kellerei“ sondern weil jeder, der an der Reihe ist, eine Bemerkung loswerden möchte und natürlich auf eine pfiffige Erwiderung wartet. Aber eine Frau, die auf Kohle geboren wurde, schafft das locker – eine ihrer leichtesten Übungen, denn Reden ohne Anlass und Thema zeichnet sie aus, sie hat dieses eine Gen, das es sonst auf der ganzen Welt nicht gibt.

Die meisten „Abgespeisten“ suchen sich mit ihrem Teller ein Plätzchen zum Sitzen, auf Treppen oder auf bereitgestellten Bierzeltbänken oder auf den hölzernen Planken der Tribüne. Manche zieht es auch in das Büdchen, das die Helfer von Teutonia Schalke auf halber Höhe in einem kleinen Raum des Tribünengebäudes betreiben. Dort bekommen sie warme Getränke und können ihr Geschirr auf einen Tisch stellen: Essen mit Kultur.

So ein heißer Kaffee tut ganz gut, denn der schneidende Wind ist ziemlich frisch und wer, wie ich, ein paar Stunden draußen nur gestanden hat, kühlt doch aus, innerlich und äußerlich. Die Lust, kreativ zu sein und einmalige Momente festzuhalten, schwindet von Minute zu Minute. Auch zwei Becher Heißgetränk helfen da nicht wirklich.

Ich bleibe noch für einige wenige Platzierungsspiele, halte noch ein paar Charakterköpfe im Bild fest und mache mich dann auf den Heimweg. Gut, dass mein Auto in der Sonne gestanden hat und mich beim Einsteigen wohlige Wärme umfängt.

 

Es war ein außerordentlich gelungenes Turnier, bei dem die Sanitäter arbeitslos blieben und auch keine einzige Brille von einer Nase geschossen wurde. Viele Hände wurden geschüttelt, reichlich Schultern geklopft und Freundlichkeit, Rücksicht und gegenseitige Achtung waren selbstverständlich.

 

 

9. 8.2019  

Auszüge aus einem Artikel für den Vestischen Kalender 2020 (ab Ende November 2019 im Handel)

 

Walking Football – Fußball im Gehen für Senioren

Joachim Kirstein

 

Was ist Walking Football?
Ins Deutsche übersetzt bedeutet Walking Football nichts weiter als „Geh-Fußball“. Walking Football ist altersgerechtes und gesundheitsförderndes Fußballspielen für Spieler ab 55 Jahren.

Erstmals wurde diese Fußball-Variante 2011 im englischen Chesterfield gespielt – und begeistert inzwischen das ganze Land. Fast 1000 Mannschaften, einige auch in einem geregelten Spiel- und Ligabetrieb, spielen bereits in England. Über die Niederlande gelangte Walking Football mittlerweile auch nach Deutschland. (...)

 

Die Regeln

„If it looks like running, it probably is. Whistle!“

(„Wenn es nach Laufen aussieht, ist es wahrscheinlich auch Laufen. Pfeif ab!“) So die Anweisung an britische Schiedsrichter.

 

Wie der Name schon sagt, darf beim Gehfußball nicht gerannt werden. Zudem darf der Ball nicht über Hüfthöhe gespielt werden. Ein Verstoß der Regeln führt zu einem Freistoß für die gegnerische Mannschaft. Eine weitere Regel ist die Vermeidung von hartem Körperkontakt und Fouls, wodurch beim Walking Football das Verletzungsrisiko gemindert werden soll. Einen Torwart gibt es nicht, dafür sind die Tore kleiner. Handspiel ist natürlich verboten und über „Abseits“ muss sich niemand Gedanken machen. (...)

 

Soziale Aspekte und Gesundheit

„Hier kann man auch mit einer kaputten Hüfte oder einem Ersatzknie spielen", sagt Rainer Küpper, Trainer und Vorstandsmitglied beim DJK TuS Holsterhausen in Essen. Im Vordergrund stehe der Spaß, „ … und man tut was für die Gesundheit.", so Küpper.

 

Beim Walking Football wird Integration fast vorbildlich praktiziert. Dass Frauen in Mannschaften mitwirken, ist keine Besonderheit – auch wenn es noch nicht viele sind. Eine körperliche Behinderung oder die Schädigung von Gelenken und Organen sind keine Gründe, auf das Fußballspielen zu verzichten. Auch Spieler mit Amputationen können beim Gehfußball aktiv sein. Selbst das empfohlene Alter von 55+ (in Holland „60 plussers“) ist nicht in Stein gemeißelt. Mit 50 ein neues Knie oder eine neue Hüfte und dann fünf Jahre warten? Nein, auch die jüngeren der „Alten“ dürfen mitmachen. (...)

 

Es ist eine schöne Bestätigung, wenn sich sogar Professoren inzwischen mit den gesundheitlichen und sozialen Seiten des Gehfußballs beschäftigen und dabei herausgefunden haben, was die Pioniere, die aktiven Fußball-Senioren auch schon am eigenen Leib erfahren haben. So stellt z.B. Professor Bernd Wolfahrt, Sportmediziner der Charité Berlin, fest, dass Bewegung auf Dauer nur durchgehalten wird, wenn sie Freude bereitet. Und dass besonders Spielsportarten einen besonders positiven Effekt haben. Damit Freude und Gesundheit möglichst lange erhalten bleiben, ist es wichtig, vor der Trainingsaufnahme einen Sport- oder Allgemeinmediziner aufzusuchen. Egal, ob man schon vorgeschädigte Organe oder Gelenke hat oder nicht! Schaden kann eine Untersuchung auf keinen Fall und eine positive Bewertung des Arztes kann dem „Wieder-Fußballer“ oder Neueinsteiger Sicherheit und Selbstvertrauen geben. (...)

 

Gehfußball. Das klingt wie ein Spaß. Wie ein Widerspruch. Es ist Spaß – und eben auch kein Widerspruch. (Joachim Kirstein)

 

Die Westfalenmeisterschaften …

… der älteren Balltreter und der nicht ganz so alten –treterinnen

(22.06.2019, Sportschule Kaiserau)

 

von Wolfgang  Memleb (Recklinghausen)

 

„Das ist aber ein Zufall“, sagt die eine der beiden freundlichen Frauen hinter dem Campingtisch, lacht und drückt mir zehn Wertmarken in die Hand, „als wenn ich sie für Sie abgezählt hätte.“

Ich stecke die Verköstigungs-Währung in die Tasche und verlasse das große Mannschaftszelt, das heute als Kaffee-und-Kuchen-Kantine, als Wechselstube und nicht zuletzt als Schattenspender dient.

Auf dem Kunstrasenplatz zu meiner Linken sind zwei Felder für die „Alten Herren“ abgesteckt, die dort ihre Ü60 Meisterschaft in zwei Gruppen ausspielen. Die Felder – dem Alter der Beteiligten geschuldet – sind etwa halb so groß wie ein normaler Fußballplatz und auch die kleineren Tore wurden von der Jugend entliehen.

Die kleine, aber überdachte Tribüne wird heute als Ruhe-, Besprechungs- und Regenerationsplatz von den Spielern genutzt. Einfache Menschen, ohne Ambitionen gegen den Ball zu treten – gemeinhin „Zuschauer“ genannt, finden ob der großzügig verteilten Sporttaschen und Handtücher weder Platz auf den wenigen bereitgestellten Gartensesseln noch auf den breiten Betonstufen. Überall fläzen sich nassgeschwitzte Männerkörper und schütten sich schweigend literweise Mineralwasser in und über den meist hochroten Kopf.

Der erhöhte Zuschauerplatz hat ein spiegelgleiches Ebenbild, von wo aus der interessierte Mensch bequem ein zweites Sportfeld und die darauf stattfindenden Aktivitäten betrachten kann. Ebenso wie das gegenüberliegende ist das zweite in zwei kleinere Areale abgeteilt: eines für die in aller Regel schon lange verrenteten Gehfußballer und eines für die fußballernden Frauen, die die – von ihnen selbst so gesehene – ominöse Marke „Dreißig“ bereits überschritten haben. Genauso wie die alten Normalfußballer spielen auch diese beiden Gruppen in – natürlich getrennten – Jeder-gegen-jeden-Runden ihre Westfalenmeisterschaften aus. Dabei begnügen sich die Gehfußballer mit einem Feld, das ungefähr so groß wie ein Handball- oder Hallenhockeyplatz ist[1]. Und weil die morschen Knochen keine spektakulären Paraden mehr vertragen, gibt’s auch keinen Torhüter. Dafür sind die Ziele der Begierde[2] eben kleiner.

Auf dieser Seite der Tribüne geht es vergleichsweise ruhig und gelassen zu, niemand liegt völlig ausgepumpt auf dem Zuschauerbeton, niemand überschüttet sich mit Wasser. Die Frauen haben sich den hinteren Teil der Stufen erobert und an der Nahtstelle zwischen den Geschlechtern ist – oh Wunder – ein ganz natürlicher unbelegter Streifen entstanden, es gibt doch wohl Berührungsängste – von welcher Abteilung lässt sich nicht ausmachen. Ich bin geneigt, die Atmosphäre in diesem Teil der Fußballwelt als gemütlich und entspannt zu bezeichnen, zumal auch die eine oder andere Zigarette danach oder davor geraucht wird – stets aber von männlichen Menschen in blauen, grünen, roten oder schwarzen Trikots, oft mit weißen Haaren aber immer mit noppenbewehrten Sportschuhen.

Wegen dieser Menschen, bei denen die Freude am Spiel, die Gemeinschaft im Vordergrund steht, bin ich heute hier:

„Wir müssen nicht“, sagt einer von ihnen mit schwarzer Kluft und beißt in sein Wurstbrötchen, „wir dürfen können!“

„Und wenn wir auch noch’n Tor mehr als die andern schießen, ist das eben perfekt“, ergänzt ein zweiter – ganz in königsblau – und zieht genussvoll an seiner Zigarette, „Hauptsache is aber, dass keiner von den rot-weißen weggeholt werden muss!“.

„Jau“, sagt der erste, „die Jungs von der Hundertzwölf brauchen wir nich.“

 

Die Mannschaften wissen erstaunlicherweise immer, welche gerade an der Reihe ist, um sich in einem Neun-Minuten-Spiel mit einer andersfarbigen Auswahl zu messen. Es gibt wohl genau sieben vertrauliche Zettel mit dem Spielplan und von jeder Mannschaft ist einer Geheimnisträger. Ich aber kenne diese ausgesuchten nicht und so frage ich immer wieder die falschen und niemand kann mir Auskunft geben. Der Stadionsprecher scheint nur die alten „Normalfußballer“ zu kennen, deren Ergebnisse er lauthals verliest und deren nächste Spiele er höchst akkurat mit der Angabe von Ort und Zeit vorankündigt. Das gibt es bei den Gemütlichen und auch bei den älteren Mädchen nicht. Aber irgendwie bekomme ich doch heraus, wer gerade spielt. Die Rückseite der Trikots ist da sehr aussagekräftig, denn da verbirgt sich gemeinhin die Vereinszugehörigkeit zwischen all den rührigen Sponsoren, aber die Alten sind hibbelig und drehen und wenden sich fortwährend. Das macht die Sache schwierig. Schalke 04 und den FC Marl habe ich erkannt und noch eine Mannschaft aus Paderborn in grün-weiß...

„Bisschen verwirrend, die Regeln“, sagt einer von der Gegenseite, „man weiß nie, ob die nun gehen oder laufen.“

„Die Schiedsrichter sind heute sehr großzügig“, sagt einer von den schneeweißen Gehern, „da wird das Spiel nicht so zerpfiffen.“

„Aha.“ Der andere ist ein wenig verwirrt. „Aber Regel ist doch Regel“, versucht er einen Einwand und nimmt einen großen Schluck Bier.

„Schon“, sagt der weiße, „aber das sehen wir nicht so eng.“ Dann lässt er den verdutzten stehen und verzieht sich in den Schatten unter dem Tribünendach.

 

Die Männer an der Pfeife, die ohne Assistenten auskommen, passen sich der Geschwindigkeit der Spieler an und bleiben einfach an der – gedachten – Mittellinie stehen. Von da haben sie alles im Blick und auf Ballhöhe müssen sie auch gar nicht sein, denn die Abseitsregel ist zusammen mit den Spielern in Rente gegangen – es gibt sie einfach nicht. Gelegentlich fliegt der Ball über Hüfthöhe, dann pfeift der Unparteiische. Bei den Toren hat er es hier und heute etwas schwerer, da man keine Originaltore aufgestellt hat sondern umgekippte Jugendtore, die mit rot-weißem Flatterband auf ein Meter Höhe begrenzt worden sind. Aber es gibt keine Diskussionen, keine Rudelbildung, wenn der Ball mal im Netz landet und die Höhe des Einschlags nicht mehr rekonstruiert werden kann. Es ist eben alles sehr entspannt.

„Schwache Vorstellung vom Sponsor“, meint einer, „so’n paar Fähnkes aufstellen kann ich auch. Nich ma zwei popelige Tore ham se spendiert! Armselig! Die ham doch Knete genug!“

 

So ein Spiel läuft fast immer nach dem gleichen Muster ab: Die Mannschaften betreten das Feld, stellen sich in Formationen auf, die an langen Winterabenden im Studierzimmer des Trainers entstanden sein müssen und die dem unbedarften Betrachter für immer kryptisch bleiben werden. Wer nun denkt, dass nach dem Anpfiff Bewegung in die Aufstellung kommen könnte, sieht sich getäuscht. Man verharrt und wartet, dass der Ball einen besuchen möge, den man dann nach einem fröhlichen „Hallo“ weiterschickt. Gelegentlich entsteht Bewegung, wenn nämlich einer der verschickten Bälle nicht genau in die Füße des Adressaten läuft. Dann bewegt sich der angespielte doch tatsächlich umgehend, um den Ball vielleicht doch noch zu erreichen und um „Hallo“ zu sagen. Derjenige, der dem gegnerischen Tor am nächsten steht, wird immer versuchen, den Ball dortselbst unterzubringen. Gelingt das, ist der Jubel in den eigenen Reihen groß, gelingt das nicht, schwallt Stöhnen über den Platz und vereinzelte Rufe wie: „Hätteste mich doch angespielt!“ oder „“Passen, Mensch! Passen!“ werden laut.

Die Spielpartner mit den anderen Farben am Körper versuchen hingegen, das lustige Hinundher zu unterbinden und eine eigene Ballstafette einzuleiten. Dazu müssen sie ihre eingenommenen Positionen verlassen und sich gehend dem Objekt der Begierde in den Weg stellen und manchmal gelingt das...

Nach neun Minuten ist alles vorbei und irgendeine Farbe hat gewonnen oder auch nicht. Jedenfalls gehen alle zufrieden vom Feld – die einen, weil sie gewonnen haben und die anderen, weil’s vorbei ist. Nur die Mitglieder der knallroten Brigade machen mir den Eindruck steter Unzufriedenheit: Da werden Mitspieler nach dem Match angegangen, da fallen wirklich hässliche Worte. Man geht sich aus dem Weg und wirft böse Blicke. Und einer dröselt die neun Minuten haarklein auf und nach vielen „Hätte“ und „Wenn“ hätte er das Spiel gewonnen – ganz alleine.

 

Zwischendurch gönne ich mir – außer einer Wurst und einer Cola – ein wenig Frauenfußball und schaue den älteren Mädchen zu. Es ist erstaunlich, welch gepflegten Ball die Frauen mit den wasserblauen Leibchen spielen und welch mutige Paraden die andere Torfrau zeigt. Aber auch bei diesem Turnier ist dem Uneingeweihten nicht klar, wer da eigentlich spielt. Nur ausgiebige Recherche hat dann später ergeben, dass die Frauen der Kreisauswahl Herne Westfalenmeister geworden sind. Wenn das die blauen waren, haben sie den Titel auch verdient.

 

Nach dreieinhalb Stunden habe ich genug.

Genug vom Gehfußball.

Genug von der unbarmherzig brennenden Sonne.

Genug von der Wurst und von Cola.

Genug vom Stehen.

 

Ich habe mir ein Bild gemacht und die Bilder im Kasten.

Es war ein rundum gelungener Ausflug.


[1] Spielfeld: 40m x 20m

[2] Tor: 3m x 1m

 

Dieser Text wurde freundlicherweise exklusiv für diese Homepage zur Verfügung gestellt. Alle Rechte liegen bei dem Verfasser Wolfgang Memleb.

21.12.2018  Die 90. Ausgabe des Vestischen Kalender ist seit zwei Wochen im Handel erhältlich. Gespannt darf man auf die Reaktionen der Leser sein, die sich für den heimischen Fußball und besonders seine Geschichte und Geschichten interessieren. Ein Fußballverein in Essel? Was machte Heinz van Haaren in Drewer? Und warum tippte Wolf-Dieter Ahlenfelder Lothar Woelk auf die Schulter? Welcher Dattelner Junge spielte in den 60er Jahren bei Schalke 04 und mit welchem Auto fuhr er zum Training? Verraten kann man, dass sein Beifahrer damals Klaus Fichtel war ...

10.8.2018 (HB) Die letzten Korrekturen an den Artikeln über die Geschichte des Fußballs und Fußballgeschichten im Vest Recklinghausen werden gerade angefertigt. Nach der Ausgabe 2018 haben Gerd Böttcher und Joachim Kirstein weitere Geschichten geschrieben und interessante Gesprächspartner gefunden. Dazu gehört Heinz van Haaren, der in seinem Gelsenkirchener Domizil mehrmals zu Gesprächen bereit war - und dazu noch sehr gastfreundlich! Außerdem wird eine Geschichte von Heiner Aring über einen Dattelner Jungen, der es in die Bundesliga schaffte, wiederveröffentlicht.

Informationen zu "Mit Pferd und Wagen zum Auswärtsspiel"

16.10.2016 (HB) Das Manuskript wird zur Zeit in einer Druckerei bearbeitet (Gestaltung, Korrekturen) und soll in den nächsten Wochen gedruckt und dann im Emsland gebunden werden. Es hat ca. 160 Seiten, enthält die Grußworte von den Bürgermeistern aus Marl und Haltern, ein Grußwort des Vorsitzenden des Fußballkreis Recklinghausen, viele Fotos, Anekdoten und die Historie von vielen Vereinen - praktisch allen - , die "Spuren" in der Fußballlandschaft hinterlassen haben.

Es ist im Buchhandel erhältlich, hat die ISBN 978-3-00-054121-6 und kostet 19,90€.

Für weitere Informationen oder Fragen wenden Sie sich an: tabellenfuehrer[at]t-online.de

17.07.2018 (HB) Bisher wurde das "Auswärtsspiel" weit über 300 Mal verkauft. Restexemplare sind noch vorhanden.

 

Erste Kommentare von Lesern einiger Textproben (17.10.2016)

 

„Das hier vorliegende Werk gibt die Historie der Fußballgeschichte Halterns wieder und verdeutlicht, wie wichtig bereits früher einzelne engagierte Personenvor Ort waren, um Fußballplätze zu errichten und Vereine gründen zu können. Ein äußerst interessantes Nachschlagewerk über die hiesigen Fußballvereine und Sportanlagen.“

Bodo Klimpel, Bürgermeister der Stadt Haltern am See

„Hervorragend recherchiert, gespickt mit alten Fotos und herrlichen Anekdoten. Aber auch mit tiefgründigen Geschichten der Fußballvereine.“

Hans-Otto Matthey, Vorsitzender des Fußball- und Leichtathletikkreises Recklinghausen

„Die Geschichte des TSV Marl-Hüls liest sich flüssig und interessant. Vor allem wecken die Namen der Spieler aus den 60er/70er Jahren wie Krenz, Tiburski, Schulte-Kellinghaus und Milasincic - mit dem ich noch als Jugendlicher Mitte der 60er Jahre hinter der Zeltkirche auf dem Bolzplatz gekickt habe - wie auch die Mannschaften aus dieser Zeit, gegen die der TSV gespielt hat, entsprechende Erinnerungen in mir. Ich habe noch Spiele im Kopf gegen Alemannia Aachen, SW Essen, Preußen Münster - nach dem Abstieg aus der Bundesliga - sowie Hamborn 07 und Fortuna Köln mit Jean Löring als Ausputzer, die ich als Jugendlicher besuchen durfte!

Auch die Randnotizen bzw. Randgeschichten sind spannend für den Eingeweihten zu lesen.“

Jean-Pierre Gardner, Münster

„Super Artikel. Schön geschrieben. Danke.“

Lothar Gawek, Bertlich

„Die Zeitreise in Wort und Bild ist nicht nur eine Dokumentation über die Geschichte des Fußballs nördlich und südlich der Lippe, sondern zugleich ein Dankeschön an alle, die sich für den Fußball in unseren Städten verdient gemacht haben. Mein besonderer Dank geht an die Autoren, die in akribischer Arbeit die Fußballgeschichte in Marl und Haltern zusammengetragen haben.“

Werner Arndt, Bürgermeister der Stadt Marl

 

17.07.2018

"Die Anfänge des Fußballs im Vest Recklinghausen" in "Vestischer Kalender 2018" (Recklinghausen, 2017)

Im Vestischen Kalender erschienen mehrere Geschichten über Vereine und bekannte Fußballer im Kreis Recklinghausen. Insbesondere die kurzen Abhandlungen über die Traditionsvereine Spvgg Herten 07/12, TSV Marl-Hüls und Spvgg. Erkenschwick geben einen interessanten Einblick in die vestische Fußballgeschichte. Des Weiteren gibt es Porträts über Fußballer, die weit über die Grenzen des Vestes bekannt wurden. Beteiligt sind Erwin Häming, Rudi Matheus, Rudi Assauer, Martin Max, Oswald Köhn, Hermann Erlhoff und Jule Ludorf.

Mitarbeiter bei diesem Projekt sind Frank Zander, Joachim Wunschick, Hansi Geiermann, Gerd Böttcher und Joachim Kirstein.

Vorgestellt wurde der Kalender (ein Jahrbuch, das sich mit Geschichte, Kultur, Kunst und Sport im Kreis RE beschäftigt) im November 2017 vor der Presse und im Beisein des Landrates Sübercrüb. Er ist im Buchhandel erhältlich.

Für 2019 sind weitere Geschichten in Arbeit. Bei den Porträts wird immer der Bezug zur "Heimat" herausgestellt.

Neben dem "Auswärtsspiel" von 2016 und Beiträgen für den Vestischen Kalender 2018 und 2019 veröffentlichte Joachim Kirstein folgende Bücher:

Alexis Korner - Eine kommentierte Diskografie (1989)

Blues - British Blues. Materialien für den Musikunterricht. Verlag an der Ruhr (1992)

Dazu erschienen Artikel, Kommentare und Kritiken in Blues News (Deutschland), Good Times (Deutschland) und Blueprint (UK) in den 1990er Jahren.

Druckversion | Sitemap
© Joachim Kirstein

Diese Homepage wurde mit IONOS MyWebsite erstellt.